
Handeln statt zögern: Warum der neue EU AI Act jetzt zur Chefsache wird
EU-Regulierung einfach erklärt
- Der EU AI Act macht Ernst: Unternehmen müssen jetzt zügig alle KI-Anwendungen erfassen, Risiken bewerten und regulatorische Vorgaben proaktiv erfüllen, um drohenden Bußgeldern zu entgehen.
- Wer im Mittelstand heute auf den Aufbau von KI-Kompetenz und die Umsetzung praxisnaher Compliance-Strukturen setzt, sichert sich nicht nur Rechtssicherheit, sondern positioniert das Unternehmen als vertrauenswürdigen Vorreiter im Wettbewerb.
- Vereinfachte Dokumentationshilfen und spezielle Service-Desks unterstützen gezielt kleine und mittlere Unternehmen dabei, regulatorischen Druck in Wachstumschancen zu verwandeln und dauerhaft einen Vorsprung zu sichern. Service-Desks sind zentrale Anlaufstellen, die Firmen praxisnahe Beratung, technische Unterstützung und Informationen zu den gesetzlichen Anforderungen bieten.
Es ist längst kein vages Zukunftsthema mehr – der „EU AI Act“ ist im Alltag des deutschen Mittelstands angekommen und zwingt zum Handeln: Seit Monaten sorgt das neue europäische Gesetz zur Regulierung Künstlicher Intelligenz für Aufsehen und Polarisierung in Politik und Wirtschaft. Schon zu Beginn des Jahres sind erste Verbote in Kraft getreten – doch die umfassenden Verpflichtungen, auditsicheren Kontrollen und neuen Berichtspflichten werden die Firmen erst nach und nach stärker betreffen.
Während laufend prominente Unternehmen und Konzerne die öffentliche Bühne suchen, um ihre Kritik zu artikulieren und eine Überarbeitung des Gesetzes fordern, zeigt sich die EU-Kommission derzeit unnachgiebig: „Es gibt keine Schonfrist, keine Pause“, hat sie jüngst unmissverständlich erklärt. Dadurch geraten auch mittelständische Firmen immer stärker unter Entscheidungsdruck: Ist Abwarten das Gebot der Stunde? Oder sollte man auf die neuen Regelwerke durch proaktives Umsteuern reagieren?
Angst vor Innovationsstau und Risiken für den Standort Europa
Die Protestwelle gegen den AI Act hat zuletzt eine neue Dimension erreicht. Nachdem bereits über 100 Tech-Unternehmen und zahlreiche Branchenverbände öffentlich gegen eine überhastete Umsetzung protestiert und eine Reform sowie den Stopp besonders strikter Regelungen gefordert haben, wird der Widerstand nun von Branchengrößen getragen: Industriegiganten wie Airbus, Mercedes-Benz, Siemens Energy und das französische KI-Startup Mistral AI wandten sich in einem offenen Brief direkt an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Einschätzungen der Unternehmen spiegeln die wachsende Sorge wider, dass Europa mit dem AI Act seine Innovationskraft gefährden und einen wachsenden Rückstand gegenüber den USA und China weiter zementieren könnte. Insbesondere zusätzliche Dokumentations- und Compliance-Pflichten, gepaart mit weit gefassten Risikodefinitionen, verteuern Entwicklung und Einsatz von KI in der Praxis.
Mittelstand besonders betroffen: Bürokratie, Kosten und Unsicherheit
Für kleine und mittlere Unternehmen stellt die Regulierung durch den EU AI Act eine große Herausforderung dar. Zwar ist der Anteil der KMU in Deutschland, die KI-Technologien nutzen, in den letzten Jahren gestiegen: Zwischen 2023 und 2024 erhöhte sich der Anteil um 8 Prozentpunkte auf 19 Prozent. Dennoch bleiben sie deutlich hinter den Großunternehmen zurück, von denen inzwischen fast jedes zweite solche Technologien anwendet. Und KMU drohen weiter abgehängt zu werden. Ein maßgeblicher Grund: Während Großkonzerne über eigene Rechts- und Compliance-Abteilungen verfügen, fehlt es vielen Mittelständlern an Ressourcen, um die komplexen Vorschriften europaweit umzusetzen. Verstärkt wird die Unsicherheit durch einen weiteren Faktor: Die ursprünglich für August 2025 geplanten technischen Standards – eine eigentlich zentrale Stütze der rechtssicheren KI-Anwendung – werden laut den europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC erst im Laufe des nächsten Jahres finalisiert. Unternehmen sollen jedoch bereits jetzt Compliance-Maßnahmen umsetzen, ohne auf eindeutig definierte Normen zurückgreifen zu können.
Bewegung in der Ausgestaltung: Praxisnahe Erleichterungen statt Gesetzesreform
Trotz des breit getragenen Drucks aus der Wirtschaft beharrt die Europäische Kommission zwar auf ihrem Zeitplan – eine grundlegende Überarbeitung oder gar Aussetzung des AI Act steht damit bis auf Weiteres nicht im Raum. Zugleich hat die EU-Kommission allerdings vor kurzem angekündigt, Hürden für die Wirtschaft abbauen, Berichts- und Dokumentationspflichten zu vereinfachen sowie gezielt auf die Bedürfnisse von KMU eingehen zu wollen. Noch aber gibt es keine konkreten Gesetzesänderungen, sondern zunächst nur Klarstellungen, mehr Beratung und den Verweis auf praktische Hilfen durch spezielle Service-Anlaufstellen.
So arbeitet die EU-Kommission am „AI Act Service Desk“, der ab Sommer 2025 in allen Sprachen der Mitgliedsstaaten zur Verfügung stehen soll. Zusätzlich werden vereinfachte Dokumentationsformulare für KMU entwickelt und spezielle Schulungsangebote bereitgestellt. Deutschland hat zudem mit dem „KI Service Desk“ bei der Bundesnetzagentur vor kurzem auch eine nationale Anlaufstelle geschaffen. Das Angebot umfasst einen interaktiven „KI Compliance Kompass" zur ersten Selbstbewertung und richtet sich gezielt an KMU.
Checkliste: Was mittelständische Unternehmen jetzt konkret tun sollten
Um den neuen gesetzlichen Anforderungen rund um den Einsatz Künstlicher Intelligenz gerecht zu werden, zählt für Unternehmen jetzt vor allem eins: Klarheit schaffen, Handlungsfähigkeit sichern und (Förder-)Chancen gezielt nutzen. Nur wer dabei strukturiert und proaktiv vorgeht, bleibt auf Kurs und wandelt den regulatorischen Druck in nachhaltige Wettbewerbsvorteile um.
Aufgabe 1: Bestandsaufnahme und Risikobewertung – sofort handeln
Die erste und wichtigste Aufgabe ist eine systematische Erfassung aller KI-Anwendungen im Unternehmen. Viele Mittelständler nutzen bereits KI, ohne es zu realisieren – etwa durch ChatGPT, Microsoft Copilot oder KI-Features in Office 365. Diese Systeme müssen identifiziert und nach dem risikobasierten Ansatz des AI Acts kategorisiert werden.
Der AI Act unterscheidet vier Risikostufen:
- Minimales Risiko: Systeme wie Spam-Filter (keine besonderen Pflichten)
- Begrenztes Risiko: Chatbots und Kundenservice-KI (Transparenzpflichten)
- Hohes Risiko: KI in Personalwesen, Kreditvergabe oder Sicherheitssystemen (umfassende Compliance-Anforderungen)
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Unannehmbares Risiko: Social Scoring, Emotionserkennung am Arbeitsplatz (verboten seit Februar 2025)
Aufgabe 2: KI-Kompetenz aufbauen – gesetzliche Pflicht seit Februar 2025
Seit dem 1. Februar 2025 sind alle Unternehmen verpflichtet, ihren Mitarbeitenden ein „ausreichendes Maß an KI-Kompetenz" zu vermitteln. Diese Pflicht betrifft alle Personen, die mit KI-Systemen arbeiten oder deren Ergebnisse nutzen. Zwar sind für fehlende Schulungen keine direkten Sanktionen vorgesehen, jedoch können Haftungsrisiken und Reputationsverlust drohen, wenn mangelnde KI-Kompetenz zu Schäden führt, die durch adäquate Schulungsmaßnahmen hätten vermieden werden können.
Die erforderlichen Kompetenzen umfassen: Technisches Grundverständnis der eingesetzten KI-Systeme, ethische und rechtliche Aspekte im Umgang mit KI sowie sichere und verantwortungsvolle Anwendung der Technologie.
Aufgabe 3: Compliance-Strukturen etablieren – seit August 2025 wird es ernst
Mit dem 2. August 2025 sind weitere zentrale Pflichten in Kraft getreten, insbesondere für sogenannte „General Purpose AI“-Modelle – das sind KI-Systeme, die sehr breit einsetzbar sind und nicht nur für eine spezielle Aufgabe entwickelt wurden, sondern vielfältige Anwendungsbereiche abdecken. Beispiele dafür sind Sprachmodelle zur automatisierten Textgenerierung (etwa ChatGPT oder Gemini) oder multimodale KI-Plattformen wie Microsoft Copilot oder Google Gemini, die Text, Bild und Sprache kombinieren können. Die EU-Regulierung stellt deshalb für diese besonders mächtigen und vielseitigen Modelle erweiterte Transparenz-, Prüf- und Dokumentationspflichten auf. Spätestens ab August 2026 gelten dann die vollständigen Anforderungen für Hochrisiko-KI-Systeme.
Um frühzeitig die notwendigen Compliance Strukturen zu etablieren, müssen Unternehmen schon jetzt anfangen, folgende Punkte zu realisieren:
- Risikomanagement-Systeme einrichten und kontinuierlich aufrechterhalten
- Technische Dokumentation erstellen und aktuell halten
- Automatische Protokollierung von KI-Entscheidungen gewährleisten
- Transparenz-Anforderungen erfüllen und Nutzer informieren
- Menschliche Aufsicht über KI-Systeme sicherstellen
Bei Verstößen gegen diese zentralen Risiko- und Compliance-Pflichten drohen empfindliche Bußgelder von bis zu sieben Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.
Aufgabe 4: Staatliche Unterstützung nutzen
Eine weitere zentrale Aufgabe, die gerade mittelständische Unternehmen frühzeitig angehen sollten, ist konsequent Unterstützungsangeboten zu nutzen. Dazu gehören vor allem:
- Vorrangiger und kostenloser Zugang zu regulatorischen Sandboxes: Regulatorische Sandboxes sind sichere Testräume, in denen Unternehmen innovative KI-Anwendungen gemeinsam mit Aufsichtsbehörden ausprobieren können – und das unter realen Bedingungen, aber ohne das Risiko sofortiger Sanktionen. So lassen sich Compliance-Anforderungen praxisnah kennenlernen und erfüllen.
- Vereinfachte Dokumentationsformulare und praxisnahe Leitfäden: Die EU entwickelt speziell für KMU verständliche Vorlagen und kompakte Handreichungen, mit denen sich die umfangreichen Dokumentations- und Nachweispflichten des AI Act Schritt für Schritt erfüllen lassen.
- Individuelle Beratungsangebote über die neuen EU-weiten und nationalen Service-Desks: Spezialisierte Anlaufstellen wie der „AI Act Service Desk“ beraten bei allen Fragen rund um Recht, Technik und Förderung – unkompliziert und gezielt für mittelständische Unternehmen.
Fazit: Gestalten statt verwalten – und Chancen auf Wettbewerbsvorteile nutzen
Der EU AI Act ist Pflicht, aber gleichzeitig die große Chance für mittelständische Innovatoren. Nutzen Sie die aktuell verfügbaren Unterstützungsmöglichkeiten, stärken Sie systematisch die KI-Kompetenz in Ihrem Unternehmen und legen Sie so den Grundstein für nachhaltige Wettbewerbsvorteile. Denn Unternehmen, die jetzt handeln, können sich entscheidende Marktvorteile sichern. Schließlich wird vertrauenswürdige KI zunehmend zu einem Verkaufsargument gegenüber Kunden und Geschäftspartnern. Zusätzlich verringern frühzeitige Compliance-Maßnahmen das Risiko empfindlicher Bußgelder. Gleichzeitig schaffen sie Rechtssicherheit für Investitionen und Geschäftsentscheidungen.