Einblick in die Praxis: "Die Logistiker reagieren sichtlich erfolgreich auf die Krise"
Vertriebsleiter Transport & Logistik, DAL Deutsche Anlagen-Leasing GmbH & Co. KG | © DAL
Die Corona-Krise hat zu Unterbrechungen in den Lieferketten geführt. In diesem Moment wurde wieder deutlich, wie systemrelevant die Schiene ist, denn der Güterverkehr mit der Bahn kam weiterhin über die Grenzen und an seine Ziele.
Wie hat die Corona-Pandemie aus Ihrer Sicht die Logistikbranche verändert?
Jung: Anders als bei früheren Wirtschaftskrisen, hat sich die Pandemie sehr unterschiedlich ausgewirkt. Ein Beispiel: Als zu Beginn in diesem Frühjahr viele Grenzen geschlossen wurden, kamen die Lastwagen mit ihren Gütern nicht mehr durch. Das hat zu Unterbrechungen in den Lieferketten geführt. In diesem Moment wurde wieder deutlich, wie systemrelevant die Schiene ist, denn der Güterverkehr mit der Bahn kam weiterhin über die Grenzen und an seine Ziele. Für einen Güterzug mit 50 Waggons genügt ein Zugführer, um eine Menge zu bewegen, für die vielleicht 50 LKW-Fahrer notwendig wären. Sind weniger Menschen beteiligt, ist auch das Infektionsrisiko geringer. Auch der Blick auf verschiedene Branchen ist interessant. Einer unserer Kunden hatte eine Reihe von Lokomotiven bestellt, um Zuschlagstoffe für die Betonherstellung in schweren Güterzügen zu transportieren. Dieser Kunde blieb ganz entspannt, denn die Bauindustrie lief – und läuft – auf hohem Niveau weiter. Bei anderen haben wir deutliche Einbußen beobachtet, beispielsweise bei Unternehmen, die als Automobillogistiker die gesamte Autoproduktion in Deutschland im Inland und ins Ausland transportieren. Durch den Produktionsstopp in der Industrie fielen ihre Aufträge und damit auch der Umsatz fast komplett aus. Glücklicherweise hat sich die Situation hier wieder stabilisiert.
Online-Handel heißt für die Logistik immer zweierlei: Es werden mehr Verteilzentren gebraucht und die Erwartungen an die Schnelligkeit steigen. Dementsprechend hat der Investitionsbedarf bei den großen Logistikern zugenommen.
Mitglied der Geschäftsführung der DAL Deutsche Anlagen-Leasing GmbH & Co. KG | © DAL
Die Logistikbranche gilt durch den Boom des Onlinehandels als Corona-Gewinner. Sehen Sie hier schon konkrete Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit in diesem Bereich?
Eberhard: Der Online-Handel hat tatsächlich noch einmal einen deutlichen Schub erfahren. Das Statistische Bundesamt hat im Juni eine Zunahme von fast einem Drittel im Vergleich zum Jahr davor gemeldet. Auch Menschen, die diese Form des Einkaufens bisher weniger oder gar nicht in Anspruch genommen haben, haben es nun – notgedrungen – ausprobiert, und viele werden dabei bleiben. Das erfordert entsprechende Investitionen nicht nur im Einzelhandel. Online-Handel heißt für die Logistik immer zweierlei: Es werden mehr Verteilzentren gebraucht und die Erwartungen an die Schnelligkeit steigen. Dementsprechend hat der Investitionsbedarf bei den großen Logistikern, die Warenlager für Dritte betreiben, dadurch eher zugenommen. Natürlich sind solche Investitionen immer langfristig geplante Projekte, deshalb kann ich nicht eindeutig sagen, dass diese bereits in der Corona-Krise getätigt wurden. Aber es ist klar, dass sie kommen werden, und das sind enorm hohe Zukunftschancen in diesem Bereich. Auch das ist ein Beispiel für ein Segment, indem die Corona-Pandemie zu einer vermehrten Nachfrage nach Finanzierung führen kann und wird.
Sie haben die Schnelligkeit als Faktor erwähnt. Wie stellen sich Unternehmen auf die gestiegenen Erwartungen ein?
Eberhard: Die Schnelligkeit erreichen diese Unternehmen vor allem durch die Optimierung ihrer Supply Chains. Das kann auf unterschiedliche Weisen geschehen. Beispielsweise rücken die Logistikunternehmen ihre Verteilzentren näher an den Endkunden heran, um die Wege abzukürzen – Stichwort „Regionalisierung“. Aber das Konzept einer „agilen“ Lieferkette ist weit mehr als das. Es setzt nicht nur auf kurze Lieferzeiten, sondern stellt die Lieferfähigkeit insgesamt sicher und achtet dabei noch auf Kosteneffizienz und niedrige Bestände. Steht die Lieferfähigkeit in der Planung der Supply Chain ganz oben, kommt auch der Schienengüterverkehr wieder stärker ins Spiel. Denn die an den Grenzen stehenden Lastwagen, wie sie Herr Jung eben beschrieben hat, wollen die Unternehmen in Zukunft als Risikofaktor vermeiden. Die Logistiker werden nach meiner Einschätzung mittelfristig eher erfolgreich auf die Krise reagieren.
Jung: Eine Antwort auf diese Herausforderung, und ein Beispiel dafür, dass die Corona-Krise auch im Schienengüterverkehr auch zu Veränderungen führt, ist die neue Strategie der Bahn. Die Erfahrungen während der Pandemie haben auch dazu beigetragen, dass die Güterbahn wieder verstärkt auf den Einzelwagenverkehr setzt und will damit einen größeren Anteil an der Wertschöpfungskette über die Schiene abbilden, von der Abholung im Produktionsbetrieb idealerweise bis zur Auslieferung beim Kunden. Die Pandemie hat bzw. wird nach meiner Auffassung die Entwicklung des Schienengüterverkehrs positiv beeinflussen. In diesem Segment sieht man Wachstumschancen, und das Unternehmen ist bereit, in weit komplexere logistische Prozesse einzusteigen, als dass bisher der Fall war. Eine weitere Rolle bei dieser strategischen Entscheidung spielt auch der Wunsch der Bundesregierung, aus ökologischen und ökonomischen Gründen mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlegen.
Beim Thema Online-Handel stellt sich die Frage nach der Digitalisierung: Sind die Investitionen in diesem Bereich in den vergangenen Monaten gestiegen?
Eberhard: Auf jeden Fall, und damit meine ich weniger die Logistikbranche im Besonderen als vielmehr die gesamte Wirtschaft. Wir sind als DAL auch in den Bereichen IT-Hard- und Software-Finanzierung tätig und hier hat die Corona-Pandemie zu einem gewaltigen Investitionsschub geführt. Zu Beginn des Lockdowns im März und April haben die Unternehmen festgestellt, dass ihren Mitarbeitern sowohl Equipment wie auch Know-how für die Arbeit im Homeoffice fehlt. Das gilt über viele Branchen hinweg und auch natürlich für die Logistik. Wird hier investiert, so wie wir das jetzt dank des Online-Handels im Segment der Logistikimmobilien vermehrt erwarten, spielt immer auch die Digitalisierung eine wichtige Rolle im Sinne von Equipment und Netzwerktechnologie. Allerdings ist das in einer Branche, die ihre Prozesse zunehmend digitalisiert, ohnehin mittlerweile Standard.
Jung: Was hinzukommen wird, ist die künstliche Intelligenz. Sie wird alle Prozesse der Logistik früher oder später durchdringen. Das sagen nicht nur Experten wie Professor Schüller von der Hochschule Osnabrück, den die Deutsche Leasing zum Thema interviewt hat, oder Herr Veres-Homm vom Fraunhofer-Institut in seinem Gastbeitrag für die Deutsche Leasing. Wir hören das von den Logistikverbänden und auch bei unseren Gesprächen mit der Branche. Die KI wird in Zukunft in der Steuerung der Lieferketten und der Disposition von Gütern eine Autonomie ermöglichen, die eine noch viel tiefere Vernetzung von Produktion und Logistik erlaubt.
Spielen solche Entwicklungen im Markt bereits eine erkennbare Rolle?
Eberhard: Finanzierungsanfragen für künstliche Intelligenz, autonom fahrende Lastwagen oder Lieferdrohnen hatten wir tatsächlich bisher eher noch nicht, auch wenn wir uns schon darauf vorbereiten. Solche Entwicklungen werden zurzeit von vielen Köpfen erdacht und erforscht, wie man an den beiden erwähnten Experten sieht, und auch ich bin sicher, dass sie kommen werden. Wenn deren Einsatz unseren Logistik-Kunden konkrete wirtschaftliche Vorteile als innovativer Produktionsfaktor liefert, dann wird es auch entsprechende Finanzierungsangebote und -konzepte von uns geben. Aber im Moment zeigt der Markt hier noch keine nennenswerte Entwicklung und daher auch noch keinen Bedarf.
Das Interview führte Michael Hasenpusch.
Kontakt
Reimund Jung
Vertriebsleiter Transport & Logistik
DAL Deutsche Anlagen-Leasing GmbH & Co. KG
Deutsche Leasing Gruppe
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Bild "Die neue Normalität in der Supply Chain": © iStock - kupicoo
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Bild "Die Transport- und Logistikbranche beim Re-Start": © iStock - baranozdemir