Blockchain und Roboter: Mehr Mut und Agilität beim Testen
Deutsche Leasing: Herr Schüller, welche Rolle spielt die Logistikbranche bei der digitalen Transformation der Wirtschaft?
Michael Schüller: Dank globaler Lieferketten und einer auch sonst starken Vernetzung der Wirtschaft kommt der Logistik bei der Digitalisierung eine sehr zentrale Rolle zu. Da sie immer ein Massengeschäft ist, in dessen massenhaft ablaufenden Prozessen gewaltige Mengen an Daten entstehen, ist sie dafür auch besonders geeignet. Zwar gab es große Datenmengen immer in der Logistik. Nun kommen aber intelligente Algorithmen und entsprechende Rechenleistung dazu. Damit bietet sich genau das, was Digitalisierung will, nämlich ein Potenzial zur wirtschaftlichen Optimierung. Dieses Potenzial ist in der Logistik größer als in anderen wirtschaftlichen Teilbereichen.
Lehrstuhl Management/Supply Chain Management, Hochschule Osnabrück | © Hochschule Osnabrück
Was wir in der Transport- und Logistik-Branche definitiv brauchen, ist mehr Mut für Innovationen und Agilität beim Ausprobieren.
Muss die Logistik sich analog zur Industrie 4.0 zur „Logistik 4.0“ updaten, um integraler Teil der digitalen Supply Chain zu werden?
Hier würde ich gerne erst einmal das Verständnis von „4.0“ präzisieren. Nach meiner Beobachtung verstehen viele darunter nur die Automatisierung. „4.0“ meint aber Autonomisierung, und das ist ein großer Unterschied. Während Automatisierung das Abarbeiten einfacher Aufträge bedeutet, gleicht die Autonomisierung in der Logistik eher der Arbeit in der Disposition. Nehmen wir einen Container, der weiß, dass seine Ladung zu einem bestimmten Zeitpunkt im Hamburger Hafen ankommen muss. Er gibt im Netzwerk seines Unternehmens Transportziel und geplante Lieferzeit bekannt. Ein Lastwagen, der gerade an der Lagerhalle andockt, teilt seine Kapazität und Abfahrtszeit mit. Beide entscheiden sich für eine Zusammenarbeit, ein Gabelstapler gesellt sich zum Adhoc-Team, und das in Millisekunden. Die Dezentralisierung von Entscheidungsstrukturen wird in der Logistik der nächste große Schritt sein.
Das klingt auch nach künstlicher Intelligenz. Gehört sie zur Zukunft der Logistik?
Im Sinne einer algorithmischen Intelligenz ist das genannte Beispiel noch keine große Sache. Alles, was man dazu braucht, ist eine Internetverbindung und die Möglichkeit, dass jedes Objekt – also Lastwagen, Container und Gabelstapler – über das Netz erreichbar ist – ein Kennzeichen für das Internet der Dinge, kurz IoT. Wichtig dabei ist, zu verstehen, dass dieser Aushandlungsprozess nicht mehr auf einem zentralen Server passiert, der die Teilnehmer kommandiert. Jedes Objekt weiß, was es tun muss, und sucht sich dafür autonom die richtigen Partner. Das ist ein Paradigmenwechsel, der auf die Unternehmen zukommt und vielen Schwierigkeiten bereitet. Die künstliche Intelligenz wird aber definitiv die Logistik weiterentwickeln. Das gilt für die Autonomisierung, aber auch für andere Bereiche. Beispielsweise setzt das Hamburger Start-up Cargonexx KI-gestützte Berechnungen ein, um Transportkapazitäten auf Lastwagen optimal auszulasten.
Vernetzung und ein hoher Integrationsgrad machen für Cyberangriffe verwundbar. Wie sollten mittelständische Logistikunternehmen damit umgehen?
Richtig, mit mehr digitalen Prozessen und mehr beteiligten Akteuren steigen die Cyberrisiken. Aktuell kommt hinzu, dass Unternehmen aufgrund der Corona-Erfahrung alternative Supply Chains bauen, mit noch mehr Teilnehmern. Damit steigt die Zahl der Angriffspunkte weiter. Das führt in der mittelstandsgeprägten Logistikbranche in Deutschland oft zur Angst vor einem Kontrollverlust und manchmal zu einer digitalen Verweigerungshaltung. Besser wäre es, die Unternehmen schauten sich aktiv nach innovativen Lösungen um. Ein Lösungsansatz wäre beispielsweise die Blockchain-Technologie, die auf zweierlei Weise für mehr Sicherheit sorgt. Erstens fallen mit ihr „Mittelsmänner“ und damit Angriffspunkte weg, zweitens sind die Daten durch eine dezentrale, redundante Datenhaltung sehr fälschungssicher.
Wie hat sich die Corona-Pandemie grundsätzlich auf die Entwicklung der Logistikbranche ausgewirkt?
Zum einen hat die Corona-Pandemie den Begriff der Lieferkette in der Öffentlichkeit bekannt gemacht und beispielsweise durch Beschaffungsprobleme bei Atemschutzmasken gezeigt, wie wichtig sie für Wirtschaft und Alltag sind. In der Logistikbranche rückt das Thema Agilität noch stärker in den Fokus. Geredet wird darüber schon lange, „atmende Supply Chains“, die Integration der Lieferkette in das Risikomanagement oder die Hinzunahme von zweiten und dritten Lieferanten. Nun wird die Agilität als Abkehr von „Just in time“ unter dem Schlagwort „Just in Case“ wieder aufgegriffen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Prinzipien liegt in der Priorisierung. Just in time zielt darauf ab, die Effizienz der Supply Chain immer weiter zu optimieren, was nur bei einem präzisen Zusammenspiel aller Elemente funktioniert. Just in Case hingegen versucht das Risiko zu minimieren, dass die Waren im Lager knapp werden und dadurch vielleicht die Produktion in Stocken geraten könnte.
Wird die Blockchain wichtig für die Logistik werden?
Ja, denn sie vereint Vorteile, die vorher nicht vereinbar schienen: Sie ist dezentral, alle können teilnehmen, und die Daten sind dennoch sehr sicher. Nach einem ersten Hype wird nun an Projekten gearbeitet, die realistische Ziele verfolgen. Einige zeigen vielversprechende Ansätze, beispielsweise Maersk und IBM mit Tradelens, das die Blockchain als Grundlage für eine digitale Lieferkette nutzt. Diesem System schließen sich mittlerweile immer mehr Teilnehmer an. Kurzum: Im Prinzip passt die Blockchain ideal zur Logistik, und selbst wenn der große Wurf noch nicht auf dem Markt zu sein scheint, wird es nicht mehr lange dauern.
Wie sollten sich mittelständische Logistikunternehmen neuen Technologien gegenüber verhalten? Eher aktiv oder eher beobachtend?
Ganz klar: Aktiv. Beobachten genügt nicht. Bei der Blockchain und auch bei der Autonomie sollten sich die Unternehmen aus der Komfortzone herausbewegen. Selbst mit einem kleinen Pilotprojekt in einer Halle oder auf einem Server können wertvolle eigene Erfahrungen gesammelt werden, ohne große finanzielle oder sicherheitstechnische Risiken einzugehen. Was wir in der Branche definitiv brauchen, ist mehr Mut für Innovationen und Agilität beim Ausprobieren.
Autor
Professor Dr. Michael Schüller ist Wirtschaftsinformatiker und lehrt Management und Supply Chain Management an der Hochschule Osnabrück. Als Ehrenprofessor an der Universität Hefei (China) leitet er dort das Studienprogramm „Logistikmanagement in China“.
Hochschule Osnabrück
www.LOGinCHINA.de
Bildnachweise:
Bühnenbild: © iStock - Just Super
Bild Professor Dr. Michael Schüller: © Hochschule Osnabrück
Bild "Wie hat sich die Corona Pandemie....ausgewirkt?": © iStock - NikoEINino