
Die vierte industrielle Revolution lässt auf sich warten
Technologie allein reicht nicht
Eine aktuelle Studie zeigt: Auch zehn Jahre nach den Anfängen der Industrie 4.0 bleibt die Vision einer vollständig vernetzten und miteinander kommunizierenden Produktion in Deutschland eine Baustelle. Ressourcenmangel, Fachkräftedefizite und ein einseitiger Fokus auf Technologien bremsen den Fortschritt. Wie es anders gehen könnte, lesen Sie hier:
Vor rund zehn Jahren wurde unter dem Begriff „Industrie 4.0“ die vierte industrielle Revolution ausgerufen. „Von einer flächendeckenden Umsetzung der Smart Factory und ihrer Vision der selbstorganisierenden Produktion sind wir aber noch weit entfernt“, schreiben die Autoren der Studie „Industrie 4.0: Die unvollendete Revolution“ der Unternehmensberatung BearingPoint und der Hochschule München. Dafür haben sie über 100 Fach- und Führungskräften aus dem produzierenden Gewerbe in Deutschland befragt. Das Interesse an Industrie 4.0 ist aber nach wie vor groß. Fast 96 Prozent der Befragten sehen eine wachsende Bedeutung von Industrie 4.0 in der Produktion. Über 81 Prozent der Unternehmen planen, in den kommenden Jahren in die Industrie 4.0 zu investieren.
Unternehmen stecken noch in den Anfängen
Doch viele beschäftigen sich noch immer mit grundlegenden Technologien. So gaben 73 Prozent an, dass die Automatisierung manueller Prozessschritte weiterhin besonders relevant für ihr Unternehmen sei. Ein Großteil der Unternehmen konzentriert sich auf die vertikale Integration zur Beschaffung von Daten (69 Prozent), während andere sich noch mit der Umsetzung von Cloud-Lösungen auseinandersetzen (58 Prozent). All diese Schritte sind erst die Basis dafür, dass Unternehmen auf Grundlage integrierter Daten und digitalisierter Prozesse ihre Produktion digital vernetzen.
Daten sind die Basis
„Der aktuelle Hype in Sachen Künstlicher Intelligenz zeigt Unternehmen nochmals sehr deutlich auf, dass durchgängig integrierte Daten ein wesentlicher Ausgangspunkt für zukünftigen Erfolg sind“, sagt Stefan Penthin, Globaler Leiter Automotive und Industrial Manufacturing bei BearingPoint. Hier liege nach wie vor die Kernaufgabe der Digitalisierung in der Produktion. Das hat sich auch nach zehn Jahren Arbeit zum Thema Industrie 4.0 nicht verändert. „Erst darauf aufbauend können dann spannende neue Technologien erfolgversprechend genutzt werden“, betont Penthin.
Kein einziges Unternehmen hat Industrie 4.0 voll implementiert
Beim Blick auf die Umsetzung von Industrie 4.0 gibt es eine gute Nachricht: Jedes befragte Unternehmen beschäftigt sich mit Digitalisierung von Produktion und Logistik. Die schlechte Nachricht: Kein einziges Unternehmen hat Industrie 4.0 bislang vollständig implementiert. Als größte Hürde bei der Einführung nennen die Befragten den Mangel an Ressourcen wie finanzielle Mittel und Zeit (63 Prozent) sowie die Komplexität des Themas (55 Prozent).
Auch der Fachkräftemangel spielt eine Rolle – fast 40 Prozent der Befragten sehen die mangelnde Verfügbarkeit von geeigneten Arbeitskräften als wesentliche Herausforderung.
Fokus auf technologische Aspekte
Für die Studie wurden die Führungskräfte auch befragt, welche Aspekte sie bei der Einführung von Industrie 4.0 priorisieren. Dabei stuften 74 Prozent technologische Themen als oberste Priorität ein. Nur knapp jeder vierte hat organisatorische und nur zwei Prozent personenbezogene Aspekte mit der höchsten Wichtigkeit versehen. „Gründe für die hohe Priorisierung der technologischen Aspekte können die Bedeutung von neuen Technologien für die Digitalisierung von Produktion und Logistik sein. Der reine Fokus auf die Implementierung von Technologien genügt jedoch nicht, um die Vision einer Industrie 4.0 umzusetzen“, betont Penthin.
USA und China sind Unternehmen in Europa voraus
Wie unterschiedlich Industrie 4.0 in verschiedenen Regionen umgesetzt wird, das analysiert das „Industrie 4.0 Barometer 2024“ der MHP Management und IT-Beratung in Kooperation mit der Albert-Ludwigs-Universität München. Unternehmen kämen seit 2022 vor allem im Bereich der Automatisierung gut voran. Eine zentrale Erkenntnis: Unternehmen in Europa liegen auffällig weit hinter der globalen Konkurrenz zurück. Die dynamische Entwicklung in China und den USA als Leitmärkte für Industrie 4.0 zeigt nicht nur wirtschaftliche Ambitionen, sondern auch den Willen zur Differenzierung durch Experimentierfreude.
„Europäische Unternehmen neigen dazu, sich weniger nuanciert strategisch auszurichten, indem sie sich übermäßig auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz konzentrieren, möglicherweise auf Kosten des Innovationspotenzials“, schreiben die Autoren der Studie.
Chinesische Unternehmen nutzen doppelt so oft KI in der Produktion
In China setzen 94 Prozent der Unternehmen bereits heute KI-basierte Lösungen in den Fertigungsprozessen ein, wie aus dem Barometer hervorgeht. Das sind mehr als doppelt so viele Unternehmen wie in den anderen Regionen der Welt. Der Nachholbedarf in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist offensichtlich. Das größte Hemmnis für die Einführung von Industrie-4.0-Technologien im deutschsprachigen Raum sei der vorherrschende Fachkräftemangel. Hier seien neue Bildungsangebote und Fortbildungsmaßnahmen gefragt, empfehlen die Autoren der Studie.