
Digitalisierungsschub durch Corona
Digitaler Impfstoff mit Zukunftswirkung
Dass die Welt heute digitaler ist, als noch vor einem Jahr macht sich nahezu überall bemerkbar. Shopping, Schule und Sport, all das fand – und findet zum Teil noch – über mehrere Lockdowns hinweg vor Bildschirmen statt. Auch die Arbeit selbst wurde – wo möglich – vom Büro ins Homeoffice verlagert. Für die Unternehmen war das zunächst eine Belastung, auch mussten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst zurechtfinden. Heute ist es geübte Normalität, vom Frühstückstisch ein paar Schritte ins Arbeitszimmer zu gehen oder, je nach verfügbarem Platz, den Laptop dort aufzuschlagen, wo eben noch der Frühstücksteller stand.
Nach über einem Jahr Pandemie werden die Veränderungen meist positiv bewertet. Manche vergleichen die Digitalisierung gar mit einem Corona-Impfstoff für die Wirtschaft . So sieht es Professor Irene Bertschek, die den Forschungsbereich digitale Ökonomie am Mannheimer ZEW – Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung leitet und Ökonomie der Digitalisierung an der Justus-Liebig-Universität Gießen lehrt. Drei Faktoren seien während des ersten Lockdowns für mittelständische Unternehmen entscheidend gewesen:
- die Fähigkeit das eigene Produkt- oder Serviceangebot anzupassen
- die Möglichkeit Distanz zu wahren, beispielsweise durch den Einsatz von Robotern in der Produktion oder eben durch Homeoffice und
- für Kunden und Partner sichtbar zu bleiben.
Allen drei Überlebensstrategien seien durch die Digitalisierung begünstigt worden, so Bertschek.
Digitalisierung sorgt für entscheidende Schritte in die Zukunft
Dementsprechend eindeutig fällt eine Umfrage des Branchenverbands Bitkom Ende 2020 aus. Für 84 Prozent der Unternehmen hat die Digitalisierung während der Corona-Zeit an Bedeutung gewonnen hat. Der Anteil derjenigen, die einen Bedeutungsverlust wahrnehmen, ist exakt – Null. Mehr noch: Die Digitalisierung ist für Unternehmen nicht nur ein Mittel, um akute Probleme zu lösen und das Überleben zu sichern, sie sorgt oft auch für entscheidende Schritte in eine bessere Zukunft.
Das zeigt der fünfte Digitalisierungsindex Mittelstand 2020/2021 der Deutsche Telekom vom Dezember 2020. Auch wenn sich fast zwei Drittel der befragten mittelständischen Industrieunternehmen zur Umstellung auf Homeoffice „gezwungen“ sahen, könnte das Fazit kaum positiver ausfallen. Mithilfe digitaler Tools zur Zusammenarbeit – wie mobile Endgeräte oder Videokonferenzen – steigerten 90 Prozent Effizienz und Produktivität, 80 Prozent schätzten die Zufriedenheit ihrer Kunden und Partner höher ein, und fast ebenso vielen gelang es dabei, ihre Kosten zu reduzieren.
Homeoffice ist einer von vielen Aspekten der digitalen Transformation, der relativ schnell und kostengünstig umzusetzen ist. Den digitalen Fortschritt in der Industrie markieren branchenspezifische Lösungen für die Fernüberwachung, die Steuerung und den Zugriff auf Geräte, Maschinen und Anlagen von jedem Ort und zu jeder Zeit. Dieses „Remote Monitoring und Control“ ist von allen digitalen Technologien am weitesten verbreitet. Jedes dritte Unternehmen setzte es ein, 2021 werden es deutlich mehr als die Hälfte der Unternehmen sein. Zu den Technologien, bei denen die Studie eine starke wachsende Nutzung erwartet, gehören auch die robotergesteuerte Prozessautomation (RPA) oder 3D-Produktkonfiguratoren.
Forschung, Innovation und Qualifizierung stehen im Vordergrund
Den Digitalisierungsschub durch die Corona-Pandemie im Jahr 2020 stellt auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fest. Im BMWi-Digitalisierungsindex , der vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erstmals erstellt wurde, zeigen sich innerhalb der produzierenden und verarbeitenden Industrie aber deutliche Unterschiede. Elektrotechnik, Maschinenbau und Fahrzeugbau liegen mit ihrem Digitalisierungsgrad weit über dem Durchschnitt aller Branchen. Das sonstige produzierende Gewerbe mit dem Baugewerbe und das sonstige verarbeitende Gewerbe mit der Textilindustrie gehören zu den Nachzüglern.
Da der Digitalisierungsgrad in mehrere Kategorien aufgeschlüsselt ist, zeigen sich weitere interessante Ausprägungen. Elektrotechnik und Maschinenbau sowie Fahrzeugbau sind stark bei der digitalisierungsrelevanten Qualifizierung von Mitarbeitern sowie bei Forschungs- und Innovationsaktivitäten, aber nur durchschnittlich oder unterdurchschnittlich digitalisiert bei Produkten und Prozessen.
Einen ähnlichen Schluss zieht das Industrie-4.0-Barometer 2020
der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und des Porsche-eigenen Beratungshauses MHP. Die im Februar 2021 veröffentlichen Studie vermisst in manchen Industriebranchen schnelle Entwicklungen und sieht sogar einen Corona-bedingten Digitalisierungsknick. Zwar habe es im Vorjahresvergleich gewisse Fortschritte gegeben, aber eher in Form kleiner Verbesserungen der Wertschöpfung. Größere Innovationen, wie neue digitale Geschäftsmodelle oder die Erschließung neuer Märkte, seien ausgeblieben. Gerade in der Autoindustrie seien die Führungskräfte während der Pandemie stark ausgelastet gewesen und hätten nicht genug Kapazitäten für Industrie-4.0-Vorhaben gehabt: „Die Unternehmen fahren auf Sicht“.
Wer schneller digitalisiert, ist in der Krise besser aufgestellt
In einem sind sich aber die Experten der LMU und MHP sicher: Dass die Unternehmen nach dem Corona-Jahr mehr als zuvor planen, in digitale Technologien investieren. Das sagt auch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in einer Studie vom Dezember 2020: „Infolge der Corona-Krise kann von einem akuten, aber auch von einem längerfristigen Digitalisierungsschub der Produktion ausgegangen werden“. In einem weiteren Punkt sind sich die Studien ob von Bitkom, der Gießener Professorin Bertschek, von Fraunhofer ISI oder der Deutschen Telekom – einig: Wer früher digitalisiert hat, stand besser da. Von den zehn Prozent der Unternehmen mit dem höchsten Digitalisierungsgrad gaben über 80 Prozent an, die Corona-Krise bisher gut bewältigt zu haben. Über alle Digitalisierungsgrade hinweg, sah das nur ein Drittel der Industrieunternehmen so.
Interview: „Investitionen in Digitalisierung lohnen sich“
Dr. Peer Günzel, verantwortlicher Vertriebsleiter Structured Finance bei der Deutsche Leasing-Tochter DAL, im Interview über das Investitionsverhalten von Mittelständlern in Zeiten der Corona-Pandemie.
Die digitale Transformation erfordert hohe Investitionen. Warum werden sich diese langfristig für die Unternehmen lohnen – und warum gerade jetzt?
Dr. Peer Günzel: Die digitale Transformation an sich ist nichts Neues, der Mittelstand befasst sich damit schon seit Jahren. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung aber stark beschleunigt, denn plötzlich mussten viele Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten. Dazu brauchten sie schnell eine entsprechende mobile Hardware-Ausstattung und Zugriff auf entsprechende digitale Daten und Prozesse. Diese Strukturen waren nicht in allen Unternehmen vorhanden und mussten bzw. müssen erst noch aufgebaut werden. Dies war ein großer Schritt in einem Veränderungsprozess, den die Unternehmen früher oder später ohnehin getan hätten. Deshalb ein klares „Ja“: Investitionen in die Digitalisierung lohnen sich – besonders jetzt. Darüber hinaus bietet Corona die Möglichkeit sich einen echten Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten, indem neue digitale Geschäftsmodelle aufgebaut und erfolgreich im Markt platziert werden. Dafür muss man auch in Krisenzeiten investieren. Dabei können wir mit unseren Lösungen helfen.
Die Investitionsanfragen im vergangenen Jahr haben also zugenommen?
Dr. Günzel: Auf der einen Seite haben die Unternehmen Investitionen in Hardware vorgezogen, um ihren Mitarbeitern die Arbeit im Homeoffice zu ermöglichen. Das hat sich auch in unserem Asset-Servicecenter, wo wir Leasingrückläufer vermarkten, stark bemerkbar gemacht. Auf der anderen Seite wurden Investitionen in Software-Migrationen, beispielsweise im Bereich ERP-Systeme, zurückgehalten. Hier haben sich Unternehmen abwartend gezeigt, denn solche komplexen Systeme einzuführen, belastet nicht nur finanziell, sondern auch organisatorisch. Diese Art Investitionen haben einige Unternehmen auf ruhigere Zeiten verschoben.
Ist das für Sie nachvollziehbar, oder sollten Investitionen gerade auch in schwierigen Zeiten auch angegangen werden?
Dr. Günzel: Einerseits verstehe ich, dass Unternehmen in unsicheren Zeiten ihre Liquidität schonen wollen. Andererseits können sich Unternehmen mit unseren Lösungen genau jetzt einen echten Wettbewerbsvorteil erarbeiten. Wir können z.B. Softwareeinführungen, die einen Umfang von mehreren zehn Millionen Euro erreichen können – inklusive Softwarelizenzen, Schulungen und eigene Personalkosten – vorfinanzieren ohne Belastung der Liquidität des Kunden. Das Prinzip ist: Bezahlt wird erst, wenn das neue System operativ ist und Erträge erwirtschaftet, Stichwort Pay-per-use oder Pay-as-you-earn. Wer also jetzt solch ein Projekt angeht, ist schon startklar, wenn die Zeiten wieder ruhiger werden.