
Der Natur abgeschaut
Wie schafft man es als global aufgestellter Maschinenbauer und Spezialist für Automatisierung aus dem Schwäbischen in eine angesagte US-amerikanische Late-Night-Show? Ganz einfach: mit selbst gebauten Schmetterlingen.
Es waren keine dressierten Pfauenaugen oder Zitronenfalter, die über die Köpfe des Tonight-Show-Moderators Jimmy Fallon und seines Publikums flatterten, sondern ihre bionischen Geschwister, die eMotionButterflys. Entwickelt wurden sie vom Bionic Learning Network des deutschen Maschinenbauers und Automatisierungsspezialisten Festo in Esslingen am Neckar. Und die Schmetterlinge sind beileibe nicht allein: Den Festo-Laboren entsteigen schon seit Jahren die erstaunlichsten technischen Kreaturen. Auch künstliche Flughunde, bionische Kängurus und tintenfschartige Greifarme wurden hier entwickelt.
Natur auf Technik übertragen

Bionik ist der Versuch, natürliche Phänomene auf die Technik zu übertragen, eine Methode mit Geschichte. Schon das Renaissance-Genie Leonardo da Vinci beobachtete den Vogelflug, um Flugapparate zu konstruieren. Ein modernes Beispiel für eine bionische Anwendung ist der Ende der 1950er-Jahre eingeführte Klettverschluss, der auf den elastischen Häkchen auf den Früchten der Kletten-Pflanze basiert.
Für den Automatisierungsspezialisten Festo ist der Bezug zur Bionik durch gestiegene Forderungen nach Flexibilität, Leichtbau und Energieeffzienz in der Produktion gegeben. „Die Natur zeigt in den vielfältigsten Beispielen, wie man mit einem Minimum an Energieverbrauch ein Maximum an Leistung erzielen kann“, sagt Dr. Elias Knubben, Leiter Bionic Projects bei Festo. Deshalb hat das Unternehmen bereits 2006 einen Verbund von namhaften Hochschulen, Instituten und Entwicklungsfrmen gegründet und ihn im Laufe der vergangenen Jahre zu einem festen Bestandteil der unternehmensinternen Innovationsprozesse etabliert.
Forschung in unterschiedlichen Disziplinen
In der bionischen Forschung befasst sich das Unternehmen mit ganz unterschiedlichen Disziplinen wie Materialkunde, Aerodynamik oder auch der Künstlichen Intelligenz (KI). Am Beispiel des BionicFlyingFox (des Flughunds) zeigt sich schnell, welche Rolle die KI dabei spielt. Mit menschlicher Hilfe gestartet, übernimmt in der Luft der Autopilot des Flughundes. Ein sogenanntes Motion-Tracking-System verfolgt seine Bewegungen in einem defnierten Luftraum, plant die Flugbahnen und liefert dazu die nötigen Steuerbefehle.
Die Bilder der Kameras gehen an einen zentralen Leitrechner, der die Daten auswertet und den Flug wie ein Fluglotse von außen koordiniert. Zwar folgt der BionicFlyingFox bei seinen Flügen programmierten Flugbahnen. Seine Flügel- und Fußbewegungen berechnet der künstliche Flughund mithilfe seiner On-BoardElektronik und komplexer Verhaltensmuster jedoch selbst. Die dafür notwendigen Algorithmen arbeiten auf dem Leitrechner, wo sie durch maschinelles Lernen permanent verbessert werden. Dadurch kann der BionicFlyingFox sein Verhalten während der Flüge optimieren und so die vorgegebenen Bahnen von Runde zu Runde präziser nachfliegen.
Mit Projekten wie dem Flughund oder dem eMotionButterfly geht Festo Fragestellungen zu zukünftigen Produktionsthemen nach. „Dabei dient uns die Natur als Vorbild und Ideenlieferant – jedoch kopieren wir sie nicht. Vielmehr transformieren wir Lösungen aus der Natur in die Technik und gewinnen dabei spannende Erkenntnisse“, sagt Knubben. Viele dieser aus der Grundlagenforschung kommenden Ansätze werden weiterentwickelt und oft erst nach Jahren in ein konkretes bionisches Objekt übernommen.

Vorbild für Greifer: Fischflossen
Ein Beispiel dafür ist das Projekt MultiChoiceGripper mit seinem adaptiven Finger und einer von der Schwanzflosse von Fischen abgeleiteten Fin Ray®-Struktur. Die Greifer passen sich flexibel unterschiedlichsten Formen an und können ohne zusätzliche Sensorik oder Regelungstechnik ganz verschiedene und auch sehr empfndliche Objekte aufnehmen.
Entstanden ist daraus das Produkt DHAS, das überall dort angewendet werden kann, wo viele unterschiedliche Objekte gegriffen werden – zum Beispiel in der Hilfsrobotik, bei Montageaufgaben oder in Produktionsanlagen, in denen unterschiedliche Produkte gefertigt werden. Eingesetzt wird der DHAS beispielsweise in der Lebensmittelproduktion zum Greifen von Orangen und heißen Brotlaiben.
Michael Hasenpusch, Redaktionsteam